Bell-Hiller-Rotorkopf in Zeitlupe

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tracer
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#16 Re: Bell-Hiller-Rotorkopf in Zeitlupe

Beitrag von tracer »

acanthurus hat geschrieben:Für die meisten stellen Gleichungen einfach etwas sehr abschreckendes dar - es hat sich nicht rumgesprochen, dass Gleichungen und derern Benutzung die Dinge erleichtern und nicht erschweren
Damit hast Du Recht :-)

Ich bin Programmierer, ich mag es gerne einfach :)
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chefche
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#17 Re: Bell-Hiller-Rotorkopf in Zeitlupe

Beitrag von chefche »

Hallo,

ich bin eigentlich aus einer ganz anderen Überlegung heraus auf dieses Video gestoßen. Und zwar wird gelegentlich diskutiert, den Anstellwinkel kollektiv auf +-12° und zusätzlich zyklisch auch auf etwa +-12° zu stellen. Deshalb habe ich an meinem TRex600 mal folgendes nachgemessen:
  • kollektiv: -6°,
  • zyklisch bei voll Nick und waagerechter Paddelstange: +3°,
  • zyklisch bei voll Nick und bis Anschlag gekippter Paddelstange: +14°.
Die Taumelscheibe macht also etwa 9° und die Paddelstange weitere 11°. Umgerechnet auf
  • einen kollektiven Anstellwinkel von +9°
  • ergibt das bei voll Nick und waagerechter Paddelstange +18°
  • und bei zusätzlicher bis Anschlag gekippter Paddelstange +29°.
Letzteres liegt dicke im Bereich des Strömungsabrisses. Bei den ganz oben erwähnten Werten von 12° natürlich noch deutlicher.

Die Geschwindigkeit am äußeren Blattende liegt bei etwa 2*pi*0.6m*30/s=113m/s. Schätzen wir die Geschwindigkeit in Richtung der Rotorachse mal ganz grob auf 10% davon, also 11m/s, dann reduziert sich der Anstellwinkel durch den relativen Wind um knapp 6°, was aber immer noch im Bereich des Strömungsabrisses liegt.

Deshalb hat mich interessiert, ob die Paddelstange überhaupt bis zum Anschlag oder in die Nähe davon ausgelenkt wird, oder ob die Rotorachse so schnell der Bewegung folgt, dass sie typischerweise nur kleine Auslenkungen vollführt. Das kann das Video wegen der kleinen Kreisfrequenz und vor allem der Fixierung am Boden leider nicht hergeben.

Andi, aus den in ihr genannten Gründen behandelt deine Dissertation nicht den Bell-Hiller-Kopf. Hast du trotzdem eine Abschätzung für den AoA und eine Erklärung, ob oder wieso es nicht zum Strömungsabriss kommt?

Viele Grüße, Th.(omas)
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acanthurus
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#18 Re: Bell-Hiller-Rotorkopf in Zeitlupe

Beitrag von acanthurus »

Hallo, Thomas.

Ohne jetzt auf deine Messwerte einzugehen:
Für ein (massefreies, ideales) Paddel oder ein Rotorblattsegment gilt folgende Grundregel:

Die Schlagamplitude des Paddels wird (im Stand, ohne äußeres Zutun) nicht größer als seine zyklische Einstellwinkelamplitude.

Das ist auch rechnerisch recht einfach zu belegen - extra für dich mit viiiiel Formeln :D und ohne Garantie auf Fehlerfreiheit, da ad hoc ohne Hilfsmittel hergelitten

Die Schlagbewegung bewirkt eine vertikale Eigengeschwindigkeit, welche, überlagert mit der Drehgeschwindigkeit, eine Anstellwinkeländerung ENTGEGEN der zyklischen Ansteuerung bewirkt.

Wenn ich ein Paddel auf Radius r mit Drehrate Omega und Schlagamplitude beta_0 habe, dann habe ich einen etwa sinusförmigen Verlauf der Schlagbewegung über die Zeit:

beta(t)=beta_0*sin(Omega t)

Natürlich könnte man auch noch eine Phasenposition definieren (also noch ein +psi_0 in die Klammer nehmen oder einen cos draus machen o.Ä.), aber uns gehts ja erstmal um die Beträge.

Der vertikale Versatz des Paddels ergibt sich zu

z(t)=r*sin(beta(t)). Ich darf mal wieder vereinfachend die Annahme kleiner WInkel ansetzen, mit sin (x) = x (im Bogenmaß), da wir von Amplituden <20° sprechen

Damit ergibt sich ein zeitlicher Verlauf des Vertikalversatzes zu
z(t)=r*beta_0*sin(Omega t)

Die vertikale Eigengeschwindigkeit ergibt sich durch Ableitung nach der Zeit:

v_z(t)=r*beta_0*Omega*cos(Omega t) (innere Ableitung der Funktionsverkettung nicht vergessen, daher kommt das Omega vor dem cos)

Schauen wir uns die dadurch (in ruhender Luft) entstehende induzierte Anstellwinkeländerung an, so ergibt sich

alpha=arctan(v_z(t) / Omega*r).. Erneut vereinfachen wir für kleine Winkel tan(x)=x und erhalten

alpha(t)=r*beta_0*Omega*cos(Omega t) / Omega * r

oder
alpha(t) = beta_0*cos(Omega t)

oder bez. der Amplituden:

alpha_0=beta_0
(Q.E.D., wie der Schwabe sagt)


Das heißt im Klartext (für Mirko :D ):

Eine gegebene Schlagbewegung um einen Winkel beta_0 hat dieselbe aerodynamische Wirkung wie eine um 90° versetzte einstellwinkeländerung derselben Größe.

Wenn wir uns jetzt in Erinnerung rufen, wie die Phase einer zyklischen Einstellwinkeländerung ist um diese SChlagbewegung zu provozieren, so kommen wir auf ein theta(t)= - theta_0 * cos(omega t) (eben 90° VOR dem Sinus)

Wenn wir also mit einem zyklischen Steuerausschlag die Stabistange (oder das Blatt, im FBL-Fall) zu einer Schlagbewegung anregen, so bewirkt die Schlagbewegung mittels der Geschwindigkeit des Vertikalversatzes selbst, dass diese SChlagbewegung aerodynamisch begrenzt wird. Für ein frei schlagendes, ideales Paddel wird also als asymptotischer Grenzfall EXAKT diese Amplitude erreicht, bei einem "härter" aufgehängten Rotor wird es entsprechend weniger Schlagbewegung sein, da die Mechanik ebenfalls dagegen arbeitet.

Diese Betrachtung erklärt auch, warum du trotz recht großer geometrischer EInstellwinkel am Paddel keine massiven Strömungsablösungen hast.. wenn du deinem geometrischen Einstellwinkel theta den durch die Schlagbewegung induzierten Anstellwinkel alpha überlagerst, erhältst du einen VIEL kleineren Wert - im theoretischen idealfall sogar Null - für den tatsächlichen aerodynamisch wirksamen Anstellwinkel.

Das alles gilt freilich nur für den ungestörten Standfall mit zyklischem Ausschlag. Im realen (Vorwärts)flug kann die Schlagamplitude die Einstellwinkelamplitude überschreiten (wer schon mal nen Blade mSR aus der Nähe betracht hat...ok, das ist eigentlich ein reiner ungemischter Hiller-Rotor), aber das rechnerisch abzuleiten ist a) extrem viel schwieriger und b) etwas umfangreicher.

Ich denke, eine schlüssige Darstellung. warum es nicht zu ständigen Strömungsablösungen kommt, habe ich damit gegeben.
Zusätzlich kommt noch hinzu dass die Überzieh-Eigenschaften im dynamischen fall (also bei ständig wechselndem Anstellwinkel) nochmal anders sind - und zwar "gnädiger". Die Strömung reißt verzögert und bei erst größeren Anstellwinkeln ab. Das Stichwort dazu heiß Dynamic Stall und spiel vor Allem im Innenbereich der Rotorblätter im Vorwärtsflug (rücklaufende Seite) eine bedeutende Rolle.

Die Frage "Wieviel Stabistangenausschlag brauche ich konstruktiv?" ist damit leider nicht beantwortet, und sie lässt sich auch nur mit einer Betrachtung des gesamten, "gemixten" Systems beantworten - die "Schlaghärte" des Rotors spielt dabei eine entscheidende Rolle (denn sie bestimmt, wie schnell der Gesamtheli dem zyklischen Ausschlag folgt), und das Mischungsverhältnis von Stabistange und Direktanteil aus der TS natürlich auch.
Ich habe mal irgendwo eine Entwurfsfaustregel gesehen, welche besagte

Schlagbereich Stabistange= max. zyklischer Paddel-Einstellwinkel + max. zyklischer Direktanteil des Rotorblattes bei horizontal gehaltener Stabistange.

Eine Begründung dafür habe ich nicht gefunden. Der erste Anteil dieser Summe entspricht dem, was ich weiter oben vorgerechnet habe - der zweite "fällt vom Himmel" und dient als Sicherheitsfaktor. Ich halte diese Abschätzung für konservativ.
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tracer
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#19 Re: Bell-Hiller-Rotorkopf in Zeitlupe

Beitrag von tracer »

acanthurus hat geschrieben:Das heißt im Klartext (für Mirko :D ):
Und einfach (für Micha): "Mit ohne" Paddeln hat man weniger Stress :)
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acanthurus
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#20 Re: Bell-Hiller-Rotorkopf in Zeitlupe

Beitrag von acanthurus »

Nö, weil für das nackte Rotorblatt gilt das genauso (eher noch schwieriger, da nicht in Resonanz).
Aber das muss man als Heliparkinsonkranker nicht verstanden haben, das ist nur für Leute, die sich WIRKLICH für Helis interessieren :blackeye:
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#21 Re: Bell-Hiller-Rotorkopf in Zeitlupe

Beitrag von tracer »

acanthurus hat geschrieben:Aber das muss man als Heliparkinsonkranker nicht verstanden haben, das ist nur für Leute, die sich WIRKLICH für Helis interessieren :blackeye:
Ich kann weder 3D, noch interessiere ich mich für Mathe, aber meine Helis fliegen trotzdem :-)

Aber es ist schon cool, wenn jemand auch weiss, warum :thumbright:
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Doc Tom
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#22 Re: Bell-Hiller-Rotorkopf in Zeitlupe

Beitrag von Doc Tom »

Watt :shock:

muss man dieses beta oder Omega ab und zu mal tauschen und wo gibt es die :?: :wink:



fein erklärt :D
Gruß Doc Tom

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acanthurus
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#23 Re: Bell-Hiller-Rotorkopf in Zeitlupe

Beitrag von acanthurus »

Och, für Mathe interessiere ich mich auch nicht sonderlich (allerhöchstens mal pro forma, um einer gewissen kleinen Mathelehrerin zu imponieren :oops: , welche meinen Namen in ihrem Ring trägt)

Tuning-Omegas und Ersatz-Betas gibts im einschlägigen Fachhandel - wenn auch unter deutlich anderen Bezeichnungen :mrgreen:
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#24 Re: Bell-Hiller-Rotorkopf in Zeitlupe

Beitrag von Doc Tom »

Also die Betaversion hab ich schon gefunden :P
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#25 Re: Bell-Hiller-Rotorkopf in Zeitlupe

Beitrag von frankyfly »

kannst du auch als Alpha nehmen, musst du nur um 90° drehen und ggf. neue Befestigunslöcher bohren :lol: :wink:
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#26 Re: Bell-Hiller-Rotorkopf in Zeitlupe

Beitrag von Basti 205 »

Ja ja, macht nur so weiter... der acanthurus erklärt uns noch mal was... :blackeye:
aber ob nun Beta, Alpha oder Omega, och fahre einen Octavia :albino:
DIY statt RTF
...um gottes Willen nichts nehmen was auf Anhieb funktioniert...
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acanthurus
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#27 Re: Bell-Hiller-Rotorkopf in Zeitlupe

Beitrag von acanthurus »

In grauer Vorzeit fuhr ich auch (Papis) Omega, aber seit 13 Jahren fahr ich dann doch n Astra (oder lasse ihn noch viel mehr in der Garage stehen).
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#28 Re: Bell-Hiller-Rotorkopf in Zeitlupe

Beitrag von tracer »

acanthurus hat geschrieben:In grauer Vorzeit fuhr ich auch (Papis) Omega, aber seit 13 Jahren fahr ich dann doch n Astra (oder lasse ihn noch viel mehr in der Garage stehen).
Oh, das überrascht mich, respekt!

Hätte Dich eher auf Audi eingeschätzt.
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#29 Re: Bell-Hiller-Rotorkopf in Zeitlupe

Beitrag von acanthurus »

Da mache ich keine Religion draus.
Details über Autos sind für mich etwa so wichtig wie für RTF-Flieger das Modane-Gesetz zur Rotortrimmung. Mir wurscht, solange es einigermaßen finanzierbar mich, meine Familie und den Fliegerkram von A nach B bringt (und B dabei nicht die nächste Werkstatt ist)
Am meisten Kilometer bekommt derzeit sowieso das hier: http://www.transalp24.de/epages/6188920 ... 05003-0001
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#30 Re: Bell-Hiller-Rotorkopf in Zeitlupe

Beitrag von tracer »

acanthurus hat geschrieben:Am meisten Kilometer bekommt derzeit sowieso das hier: http://www.transalp24.de/epages/6188920 ... 05003-0001
Das hat keinen Motor, nicht mal so nen StinkeDing :-(
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