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#1 gier-rechnereien ..

Verfasst: 26.02.2013 09:48:59
von dollreiner
bin dabei, ein simulationsmodell als basis für ne neue fc-software aufzustellen (..siehe "objektorientiert").

um den regler für die gierachse zu modellieren, brauche ich ne berechnung der drehmomente auf die achse.
ich komm nicht drauf, wie ich die abhängigkeit drehzahländerung -> giermoment rechnerisch beschreibe.

literaturtips vielleicht ?

#2 Re: gier-rechnereien ..

Verfasst: 26.02.2013 10:47:32
von acanthurus
Einfachster Ansatz:

Das vom Motor ausgeübte Antriebsdrehmoment (und damit das rückwirkende Drehmoment) besteht aus einem direkt Drehzahlabhängigen Anteil sowie einem Anteil aus der Drehimpulsänderung.

Der drehzahlabhängige Anteil ist mit orderntlicher Genauigkeit proportional zum Quadrat der Drehzahl, der Anteil aus der Drehimpulsänderung ist proportional zur Änderungsrate der Drehzahl.

Zusammengefasst also (für den Einzelmotor):

T= k1*n^2+ k2* dn/dt

k1 ist eine Systemkonstante, welche von der Aerodynamik abhängt (Propdurchmesser, Steigung...), k2 hängt von der Drehmasse von Motor und Propeller ab.

Diese Modellierung vernachlässigt (zunächst) instationäre aerodynamische Effekte - diese sind aber (um den Linearisierungspunkt herum) auch mal grob proportional dn/dt, so dass bei geeigneter Wahl von k2 der Fehler nicht gigantisch sein dürfte.
Genauso ist keine (coulomb´sche) Lagerreibung berücksichtigt. Diese wäre ggf. geschwindigkeitsproportional, so dass eine präzisere Modellierung
T=k1*n^2+k2*dn/dt + k3*n heißen könnte. Allerdings ist der Anteil k3*n im Prinzip eine INNERE Reibung, welche auf das Drehmomentengleichgewicht des gesamtsystems keine Auswirkung hat - deshalb bitte gleich wieder streichen!





gruß
andi

#3 Re: gier-rechnereien ..

Verfasst: 26.02.2013 17:32:26
von dollreiner
da weiß einer, wovon er redet. so macht das spaß.

problem : wie krieg ich k1 und k2 ohne aufwändige versuche raus ?

bei k2 könnte man vielleicht den propeller als quader und den motor als ringzylinder beschreiben, und ein wenig technische mechanik rechnen (trägheitsmoment..)
bei k1 fehlt mir jeder ansatz, das hängt ja im prinzip dann auch von der viskosität der luft und so ab, oder ?

#4 Re: gier-rechnereien ..

Verfasst: 27.02.2013 06:37:42
von acanthurus
Hallo, Reiner.

k1 bekommst du näherungsweise über eine kombinierte Leistungs- und Drehzahlmessung des Antriebs heraus, und zwar bei konstanten Drehzahlen.
Ein paar Umformungen, ohne Anspruch auf Richtigkeit.

Aus dem Ansatz über die mechanische Leistung

P_mech=T*omega=T*n*2*pi/60
ergibt sich T=P_mech*30/(n*pi)
P_mech muss man irgendwie aus der elektrischen Leistung ermitteln: P_mech=eta_motor*P_el=eta_motor*U*I. das Motoren-Eta ist leider variabel, evtl. findest du da was tabelliert (oder gehst im ersten Schuss einfach mal von 80% aus)

Also T=30*U*I*eta_motor/(n*pi)

Für konstantes n ergibt sich dn/dt=const. und die Grundgleichung reduziert sich auf T=k1*n^2
30*U*I*eta_motor/(n*pi)=k1* n^2

oder k1=30*U*I*eta_motor / (pi*n^3)

Das ganze jetzt für 2-3 verschiedene Drehzahlen ausgewertet und geprüft, obs grob passt.

k2 wird schwieriger - ein Modellierungsansatz wie von dir vorgeschlagen ist sicher möglich, aber ich würde k2 auch aus einer Messung abzuleiten versuchen:
Stellen wir uns mal den Moment vor, in dem wir bei laufendem Motor die Stromversorgung kappen.
In diesem Moment wird T=0.

d.h.T=0=k1*n^2+ k2* dn/dt

Da haben wir den Differenzialgleichungs-Salat - aber diese hier geht ja noch, es ist eine sog. Riccati-Gleichung, die lässt sich durch Separation/integration problemlos lösen. Den Weg spar ich mir, nur die allgemeine Lösung:
n(t)=1/(c+(k1/k2)*t)

Die Integrationskonstanten c erhalten wir aus der Anfangsbedingung zum Zeitpunkt t=0; sie entspricht genau dem Kehrwert der Anfangsdrehzahl.
c=1/n_0

n(t)=1/(1/n_0)+(k1/k2)*t)

Messen wir also nach dem Abschalten ZÜGIG den Drehzahlabfall über die Zeit (das muss wirklich FIX gehen) und setzen die drei Messwerte n_0, n(t) und t in diese Gleichung ein und lösen (mit dem bereits bekannten k1) nach k2 auf und fertig. Nicht ganz so einfach in der Handhabung, ich weiß.

gruß
andi

#5 Re: gier-rechnereien ..

Verfasst: 27.02.2013 09:56:04
von dollreiner
das ist sehr, sehr gut. chapeau !
(frage nebenbei : bist du maschinenbauer, mechatroniker oder was ?)

ich würde jetzt mal für den aufbau eines modells (ich nehme BORIS, die regleuingstechnik-modellierung von winfact) einen ersten, stark vereinfachten schritt ansetzen.

für den pid- regler natürlich problematisch, wegen der dynamik, trotzdem mal angesetzt, vernachlässige ich einfach k2.
behauptung : "wir regeln um den arbeitspunkt mit geringen drehzahländerungen" (nicht lachen, ok ?)

die reele antriebsleistung aus dem strom zu messen ist beim brushless nicht so trivial. aber : es gibt doch diagramme mit der wellenleistung für solche motoren.
also : mechanische wellenleistung.

zweitens, fast wichtiger ob die frage ob das dann fliegt : kannst du mir nen literaturtip geben (ideal natürlich web), der die nötige technische mechanik hierfür beinhaltet.
ich denke, für mechatroniker wäre das ein ideales projektthema, (sowas brauch ich beruflich) drehmomentprüfstand, viel technische mechanik, regleungstechnik und simulation. super.

#6 Re: gier-rechnereien ..

Verfasst: 27.02.2013 10:34:47
von acanthurus
Literatur... na ja das ist eigentlich nur ganz normaler Drehimpulserhalt (irgendein TM1 bis TM3 script wird sich sicher im Netz finden) und ein klitzekleinwenig Propeller-aerodynamik - da verweise ich gerne auf die Artikel von Helmut Schenk http://www.rc-network.de/magazin/artike ... 37-00.html
Das ist gut verständlich geschrieben und steht im Modellflug-Zusammenhang.

Ganz unvorbelastet bin ich nicht, da hast du recht :mrgreen: und der Helmut erst recht nicht ;)

#7 Re: gier-rechnereien ..

Verfasst: 27.02.2013 11:49:09
von acanthurus
Nachtrag noch:

ich rate DRINGEND davon ab, k2 zu vernachlässigen.
Die absolute GRÖSSE von k2 ist einigermaßen zweitrangig, jedoch ist die kurzfristige Wirkung der Drehmomentänderung auf die Drehrate des Luftfahrzeuges erheblich.
Es ist nicht so, dass der k1-Anteil riesig dominant gegenüber k2 ist.
Eine Linearisierung um einen Drehzahl-Arbeitspunkt kannst du gerne machen - das betrifft aber hauptsächlich den k1-Anteil. k2 bzw. dn/dt geht linear in deinen Regelkreis ein und ist deshalb nicht schwierig zu modellieren.
gruß
andi

#8 Re: gier-rechnereien ..

Verfasst: 27.02.2013 12:28:56
von dollreiner
das pdf von helmut schenk ist ein juwel !

ich hab zwar auch ein paar bücher (mönch, böge o.ä.) über technische mechanik, aber es fällt mir schwer,
daraus das für das thema hier wesentliche zu extrahieren. und bei h. schenk ist alles "mundgerecht" auf dem teller !

ist mir schon klar, daß die dynamik (also k2) vor allem für das reglerverhalten von großer bedeutung ist.
ich dachte mir das eher als erste näherung, damit überhaupt was läuft in der simulation.
fachlich brauch ich jetzt ne weile, das muß ich jetzt erst mal selber auf dem papier konsumieren ..

weil ich da bei dir zweifellos auf fachkompetenz stoße, gestatte mir noch eine allgemeine frage, sozusagen "off topic" :

ist mein ansatz, das "ingenieurstechnisch" anzugehen, also aus der rechnung heraus über die simulation und eine
stabilitätsbetrachtung dann die gerätschaft zu bauen, nicht mehr "modern" ?
es scheint mir, daß die meisten angebotenen lösungen eher aus der bastelstube kommen (was nicht bedeuten soll,
daß die dinger nicht excellent fliegen..). jedenfalls finde ich im web z.b. keine wasserdichten simulationsmodelle
(außerhalb abgefahrener dissertationen vielleicht, die aber dann mathematisch sehr weit greifen).

#9 Re: gier-rechnereien ..

Verfasst: 27.02.2013 13:35:07
von acanthurus
"Modern" ist der Ansatz sicherlich nach wie vor.
Allerdings darf man auch mal auf den dezenten Unterschied zwischen Theorie und Praxis hinweisen. Der Theorie fehlt meist einfach der umfangreiche und präzise Datensatz an Parametern, um eine ausreichend genaue Simulation durchzuführen - und diese ist dannvon sehr vielen Größen abhängig. Nun ist es aber so dass man gerne auf ein- und dasselbe Reglersystem sowohl auf 800er octos wie auch 200er quads loslassen will - und dann muss ein Regelverfahren eher robust als optimiert sein.
Ich habe jedoch selbst bisher keine mehrachsigen Flugregler entworfen und kann somit auch nur theoretische Erkenntnisse beisteuern.
gruß
andi

#10 Re: gier-rechnereien ..

Verfasst: 27.02.2013 13:46:31
von dollreiner
mal aus dem fenster gelehnt :
wie wärs, wenn ich einen versuch aufbaue, bei dem ich das gierdrehmoment in der achse des copters direkt messe,
ohne die motoren einzeln zu erfassen, und so also gleich die ganze strecke über alles in sprungantwort und bode ausmesse ?
das könnte als prüfmessung die korrektheit der detailrechnung sofort zeigen, und als basis für die reglerauslegung
auch nicht schaden ...

#11 Re: gier-rechnereien ..

Verfasst: 27.02.2013 16:45:16
von acanthurus
Klar, vollst. Systemantworten sind fast immer besser als irgendwelche theoretisierten Modelle - nur wird es nicht ganz banal sein, das messtechnisch zu erfassen.

gruß
andi

#12 Re: gier-rechnereien ..

Verfasst: 27.02.2013 17:07:15
von dollreiner
statisch :
eine achse in die coptermitte, ein umfang (schnurrolle) an die achswelle, drauf ne schnur, und die über eine umlenkung an ein gewicht auf ner genauen küchenwaage.
drehzahl auf 2 motoren, und die schnurkraft an der waage (gewicht wird ein wenig gehoben) ablesen.

dynamisch :
mit relativ großen ballast- massen an den achs-enden (damit die kleinen gewichte von elektronik, motoren und so vernachlässigt werden können)
einen sprung auf 2 motoren. winkelbeschleunigung über gyro messen (..datenblatt : besser 5%) und über die ballastmasse (trägheit) runterrechnen.

und wenn das dann so einigermaßen mit der einzelrechnung über die motorbetrachtung (siehe deine tipps) übereinstimmt, dann hab ich viel gelernt !

#13 Re: gier-rechnereien ..

Verfasst: 28.02.2013 08:00:34
von acanthurus
Klingt wie ein Plan - oder zwei ;)

#14 Re: gier-rechnereien ..

Verfasst: 28.02.2013 10:53:03
von dollreiner
plan 1 (motormodellierung, aufs system hochrechnen) mach ich selber, also den bleistift gespitzt und gerechnet.
bin gespannt, wieviel ich von h. schenk's und deinem wissen in meinem alten hirn einsortieren kann.

für plan 2 (systemversuch) hab ich personal, da schau ich bloß zu und staune.

zunächst mal vielen, vielen dank für deine hilfe

#15 Re: gier-rechnereien ..

Verfasst: 28.02.2013 11:13:20
von acanthurus
Ich weiß ja nicht wie alt dein Hirn ist, aber ich bin mir fast sicher, dass das von Helmut älter ist.